In Mailand wird eine junge Frau ermordet aufgefunden. Offensichtlich handelte es sich bei der Frau um eine Dame mit lockerem Lebenswandel, ein einfaches Mädchen, dass sich ein wenig Geld dazu verdient hat. Damit hat der Fall natürlich nur geringe Priorität für die örtliche Polizei. Das wieder einmal der Sohn eines reichen Industriellen entführt wurde, hilft da natürlich nicht. Nur Paolo (Claudio Cassinelli), der gerade noch versucht hat, die junge Frau in einem Tanzlokal für sich einzunehmen, möchte wissen, wer hinter dem Mord steckt. Gemeinsam mit dem jungen Teti macht er sich an die Ermittlungen und stößt dabei auf höchst brisante Zusammenhänge zwischen Hochfinanz, sexuellen Obsessionen und Kleinverbrechern…
Bei “Morte Sospetta Di Una Minorenne” handelt es sich oberflächlich betrachtet, um einen wenig typischen Vertreter des italienischen Giallo-Kinos. Die Giallo-Anteile sind nämlich eindeutig zurückgeschraubt, dafür kommt eine gehörige Portion italienischer Polizeifilm dazu, “Poliziesco” wie der Fachmann gerne sagt. Beide Genres haben gemeinsam, dass die normale Polizei nicht besonders gut weg kommt: Im Giallo sind es in der Regel Privatpersonen, die aus einer persönlichen Notsituation heraus beginnen, in einem Fall zu ermitteln. Im Poliziesco ist es meist ein einzelner, rebellischer Kommissar, der genug von der Unfähigkeit des Polizeiapparats hat und den Schuften das Fürchten lehrt.
Auch in “Morte Sospetta Di Una Minorenne” ist der ermittelnde Inspektor eigentlich eher als komisches Element angelegt. Er beschäftigt sich mehr mit den wöchentlichen Lotto-Toto-Rennquintett-Ergebnissen, als mit der Lösung des Falls. Diese Aufgabe fällt hier Paolo, gespielt von Claudio Cassinelli, zu, der uns doch recht zwielichtig daher kommt. Ein Großteil des Films besteht als mal ernsten, mal amüsanten Ermittlungsarbeiten. Es gibt Verfolgungsjagden, fröhliches Nuttenprellen (für eine gute Sache), ernsthafte Gewaltanwendung, Schießereien. Aber halt zwischendurch auch immer mal wieder sehr feine “Set pieces”, kleine Filme im Film, die eindeutig dem Giallo zuzuordnen sind.
Dieser Genremix ist dann auch der große (und eigentlich einzige) Schwachpunkt des Films, den man wohl dem Regisseur Sergio Martino ankreiden muss. Verfolgungsjagden sind eine tolle Sache (man erinnere sich nur an “Tote Zeugen singen nicht” oder diverse Filme von Lenzi, einem Meister der Kinetik im Film). Aber Verfolgungsjagden mit Slapstickeinlagen, die gehören definitiv nicht in einen Giallo und schon mal überhaupt nicht in einen Poliziesco.
Wieder mal erweist sich eine bekannte Redewendung als bittere Wahrheit: Weniger wäre hier eindeutig mehr gewesen. Wobei Humor auch in einem Giallo funktionieren kann, Dario Argento hat es mit “Profondo Rosso” bewiesen. Die humorvollen Szenen zwischen der wundervollen Daria Nicolodi und David Hemmings gehören (für mich) zu den Highlights des Films (nach ca. dem 20. Anschauen weiß man ja nun mal wer der Mörder ist und erfreut sich an anderen Dingen).
So oft werde ich “Morte Sospetta Di Una Minorenne” sicher nicht sehen, obwohl das Drehbuch vom verdienten (und in der Regel auch zuverlässigen) Ernesto Gastaldi stammt, der eine schier unendliche Anzahl von Genrefilmen in Italien gescriptet hat. Wenn man in der IMDB nachschaut (die sicher nicht das Maß aller Dinge ist), dann findet man auf Anhieb an die 120 Filme. Gastaldi hat mit Bava gearbeitet und solche Meisterwerke wie “Der Dämon und die Jungfrau” geschrieben, mit Luciano Ercoli hat er “Frauen bis zum Wahnsinn gequält”, mit Umberto Lenzi hat er Tomas Milian als “Der Berserker” auf seine brutale Reise geschickt.
Aber mit Sergio Martino hat Gastaldi besonders oft zusammen gearbeitet: 14 Filme gehen auf das gemeinsame Konto, darunter so tolle Gialli wie “Farben der Nacht”", der “Schwanz des Skorpions” und natürlich “Torso”. Auf eine Veröffentlichung in deutschen Landen wartet immer noch der famose “Your Vice Is a Closed Room and Only I Have the key” von 1972. Gegenüber diesen hervorragenden Filmen fällt “Morte Sospetta Di Una Minorenne” leider etwas ab, wenn der Rezensent ehrlich und objektiv ist, was seine Aufgabe zu sein hat.
Nichtsdestotrotz bietet “Morte Sospetta Di Una Minorenne” genug Schauwerte, einige Kuriositäten und natürlich und vor allen Dingen Claudio Cassinelli, um über die gesamte Lauflänge zu unterhalten.
Claudio Cassinelli ist für mich einer der interessantesten Darsteller im italienischen Genrekino überhaupt. Mein persönlicher Favorit unter seinen Filmen ist Luciano Ercolis “Killer Cop”. Während der “normale” Kommissar in den Polizeifilmen immer ein tougher Kerl war, geprägt von harten Burschen wie Maurizio Merli (der heute schon fast wie eine Karikatur wirkt), Franco Nero, Tomas Milian oder auch Luc Meranda, gab sich Cassinelli als die intellektuelle Variante, längere Haare, Brille… Wunderbar jene Szene in “Killer Cop”, in welcher er seiner Freundin erklärt, warum er immer eine Ausgabe des “Moby Dick” mit sich herumträgt: “In diesem Buch steckt ein ganzer Wal…”. Toll, dem ist nichts mehr hinzuzufügen, oder?
Unvergessen auch seine Darstellung des ermittelnden Kommissars in “Der Tod trägt schwarzes Leder”. Ein Mann, dem wir alle unsere Töchter anvertrauen würden. Das denkt sich sicher auch Mario Adorf, der hier neben Cassinelli spielt.
Leider hat es Claudio Cassinelli auch des Öfteren in den Dschungel verschlagen. Sergio Martino hat ihn gegen “Mörderkrokodile” eingesetzt und auch mit Ursula Andress, der “Weißen Göttin der Kannibalen” in die Untiefen der Exploitation gelotst. Eine wahre Verschwendung von so viel schauspielerischem Potential! Aber lieber ein toller Cassinelli in einem (filmisch) eher mäßigen Werk, als gar kein Cassinelli.
Claudio Cassinelli starb 1985 bei einem Hubschrauberabsturz während der Dreharbeiten zu “Paco - Kampfmaschine des Todes”. Tragischerweise wieder ein Film seines Freundes Sergio Martino. Claudio wäre dieses Jahr 68 Jahre alt geworden. Sehr schade!
Um mehr über die anderen Darsteller (und natürlich auch Claudio Cassinelli) zu erfahren, möge sich der geneigte Zuschauer das Featurette auf der DVD anschauen: Sergio Martino plaudert aus seiner großen Zeit und aus dem Nähkästchen. Über fast alle Darsteller kann er etwas berichten, unglaublich. Aber auch ein Anzeichen dafür, wie in den 70ern Filme gedreht wurden. Eindeutig mehr Herz- und Filmblut als heutzutage, soviel ist sicher!
Mit der neuen Edition von sazuma Productions kommt endlich etwas Bewegung in den vernachlässigten Markt der Europloitation. Sicher gibt es viele Label, die ansatzweise brauchbare DVDs von Genreklassikern auf den Markt werden (früher X-Rated, heute X-Gabu), einige Label die richtig tolle DVDs produzieren (Koch Media), aber keiner hat sich bis jetzt an wirkliche Erstveröffentlichungen gewagt. Meistens waren die Filme bereits in den USA oder in Italien erschienen, es wurde “nur” die deutsche Tonspur hinzugefügt. Bei “Morte Sospetta Di Una Minorenne” schaut es etwas anders aus, eine waschechte Erstveröffentlichung, mit feinen Extras, die speziell für diese DVD produziert wurden.
Für mich das interessanteste (Special-)Feature ist dabei der Audio-Kommentar der allseits geschätzten Filmgelehrten und Autoren Christian Kessler und Robert Zion. Kaum einer weiß soviel über den italienischen Genrefilm zu berichten, wie der werte Herr Kessler. Und ich kenne niemanden, der ansatzweise so viel Ahnung von der italienischen Politik hat, wie Herr Zion. Von Mussolini bis hin zu Berlusconi, er kennt sie alle mit Vornamen.
Nach dem tollen Kommentar auf der Erstveröffentlichung von Bavas “Blutige Seide” in der Edition Hände weg! Ist dies der zweite Audio-Kommentar der beiden und fast noch besser! Es wird viel über den Film, über Sergio Martino und die diversen Darsteller erzählt, die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 spielt eine Rolle, aber halt auch die Verwicklungen der italienischen Politik, von damals bis heute. Sehr empfehlenswert, lehrreich und verdammt unterhaltsam. Ich habe mir “Morte Sospetta Di Una Minorenne” erst einmal normal angeschaut, dann noch mal komplett mit Audio-Kommentar. So müssen Audio-Kommentare meiner Meinung nach sein: Mehr davon, bitte…
Interessante Audio-Kommentare produzieren übrigens ansonsten noch Rob Zombie und Guillermo del Toro. Wobei letzterer leider manchmal etwas schlecht zu verstehen ist, der alte Mexikaner. Trotzdem macht “Blade II” NUR mit Audio-Kommentar so richtig Spaß. Und jeder Kommentar den Uwe Boll einspricht ist ein Gewinner!
Nun kommt meine ausführliche Bild- und Tonanalyse:
Bild: Super! Ganz im Ernst, es ist erstaunlich, wie gut so alte Filme noch ausschauen können.
Ton: Passt! Es gibt den italienischen Originalton mit optionalen Untertiteln (deutsch und englisch). Ja, ich höre einen Aufschrei durch das Land gehen, kein deutscher Ton! Leider ist der Film bis jetzt nicht in Deutschland oder einem anderen deutschsprachigen Land erschienen, so ist das nun mal. Es wäre natürlich möglich, eine neue Synchro zu produzieren, aber das ist teuer und nur selten ist das Ergebnis zufrieden stellend. Da kann man sicher geteilter Meinung sein, aber in den guten alten Zeiten wurden deutsche Kino- (und auch TV-) Synchros von richtigen (allseits bekannten) Schauspielern angefertigt. Das hatte dann einen Charme, den die Freunde alter Filme zu schätzen wissen. Eine bezahlbare Synchro kann heutzutage nur noch mit Nachwuchsschauspielern produziert werden. Solch eine Synchro erfüllt dann in der Regel nur einen Anspruch: Ich habe deutsche Dialoge, ich kann also den Film anschauen, während ich meine Schnittchen verzehre. Aber, ein Film ist wie ein guter Freund, er braucht Liebe, Respekt und Aufmerksamkeit. Also kann man sich auch die Untertitel durchlesen! Und die Untertitel zu “Morte Sospetta Di Una Minorenne” sind, das stelle ich nicht oft fest, wirklich exzellent! (Science Fiction, sage ich da nur). Ich habe auf Anhieb keine Rechtschreibefehler feststellen können, heutzutage ein wahres Wunder.
Und genau hier liegt sazuma Productions dann auch weit vor den US-Labeln wie Blue Underground und/oder Anchor Bay: Leider verzichten diese Firmen entweder aus Arroganz oder aus Kostengründen auf den Originalton. Und ein europäischer Film der 70er mit US-Synchro ist fast immer eine Zumutung! Das mag ketzerisch klingen, aber entweder die alte deutsche Synchro (da gibt es ein paar verdammt gute Vertreter) oder aber den O-Ton mit Untertiteln.
Fazit: Nicht nur eine Alternative zu den zahlreichen US-Veröffentlichungen, sondern eine absolute Pflichtanschaffung für Freunde des Genres! Man kann gespannt sein, mit welchen Perlen uns sazuma Productions in der Zukunft beglücken wird (von ein paar Filmen habe ich schon gelesen, ätsch).
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Am 28. September 2006 um 09:40 Uhr
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