Unter Drachen versteht man normalerweise eher geschuppte, Reptilien-artige Wesen, die besonders im europäischen Raum, Jungfrauen entführen, Schätze anhäufen und sich von heldenhaften Rittern töten lassen. Wer bei “Maries Drachen” ein Auftauchen dieser Kreaturen erwartet, wird sicherlich enttäuscht sein. Zwar tauchen Geschöpfe auf, die entfernt an sie erinnern. Doch ist dies die einzige Gemeinsamkeit, die es hier im Comic zwischen diesen gibt.
Im Zentrum der Handlung steht Marie, eine junge Frau. Im Alter von zwölf Jahren wurde sie von ihrem Vater feierlich in einen nahegelegenen Wald geschickt, um dort, bewaffnet mit einem Schwert, eine böse Kreatur zu töten und ihr Herz zurückzubringen. Doch bei ihrer Rückkehr muss sie feststellen, dass ihr Dorf von Raubrittern vernichtet und ihre Verwandtschaft nahezu komplett ausradiert wurde. 15 Jahre später ist sie eine Art Gladiatorin, die gegen Geld in blutigen Schaukämpfen antritt. Gemeinsam mit ihrem Waffengefährten William erhält sie den Auftrag einigen mysteriösen Vorkommnissen auf den Grund zu gehen. Zur gleichen Zeit erhält auch der Ritter Jean eine ähnliche Mission. Und so machen sich alle Parteien unabhängig voneinander auf, ihre Order zu erfüllen.
Mit “Maries Drachen” arbeitet dasselbe Kreativteam zusammen, das man bereits aus “Die Legende der Drachenritter” her kennt. Doch haben die diversen Parteien nicht nur gemeinsames erschaffen, sondern auch an anderen Projekten gearbeitet, unabhängig von dem jeweils anderen. So hat Ange, der ein Pseudonym der beiden Autoren Anne und Gerard ist, auch Titel wie “Belladonna”, “Bloodline” oder “Le Soufflee” geschrieben. Ein Großteil ihres Werkes ist auch hier in Deutschland erschienen. Von Thierry Démarez stammt auch die Serie “Le Dernier Troyen”, die in Frankreich vom Soleil-Verlag herausgegeben wird.
Von den Illustrationen her zeigt der Künstler, dass er es versteht, seinen Zeichenstil komplett zu ändern. In “Maries Drachen” setzt er auf eine recht skizzenhafte und von vielen Strichen und Schraffuren geprägte Art, die ein wenig an den Britischen Künstler John Ridgway (“2000 AD”, “Hellblazer”) erinnert. Dies passt zu der düsteren und mysteriösen Stimmung, die die Serie umgibt.
Denn die Geschichte wirft jede Menge Fragen auf, die nicht alle beantwortet werden. Dies fängt schon mit dem Beginn der Geschichte an. Das Ritual der Dorfbewohner wirkt barbarisch und so ganz und gar nicht passend für das Mittelalter, der Zeit, in dem “Maries Drachen” spielt. Dazu kommt auch noch die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, was deshalb merkwürdig ist, weil letztere in jenen Zeiten so gut wie keine Rechte hatten. Und dann auch noch der Kampf gegen diese merkwürdige Kreatur. Oder war es doch nur ein Wolf? Und so geht es im Laufe des Comics weiter. Zwar haben bereits TV-Serien wie beispielsweise “Lost” gezeigt, dass der Konsument auf Rätsel steht. Aber gleichzeitig ist auch klar, dass man ihn nicht ewig auf Antworten lassen kann. Und genau diesen Fehler begeht das Kreativ-Team. Als Leser fühlt man sich recht schnell alleine gelassen und ist darüber stark frustriert. Denn anders als im Fernsehen vergeht hier nicht nur eine Woche zwischen den einzelnen Episoden, sondern es dauert Monate, bis die Fortsetzung endlich erhältlich ist.
Man kann daher nur erahnen, worum es in Wirklichkeit geht. Wie es scheint, spielt die Geschichte in einer Parallelwelt, in einem Frankreich das von einem Kaiser regiert wird, was es in unserer Realität nicht gab. Und dieses wird von merkwürdigen Wesen, jenen Drachen, bedroht. Doch darüber hinaus erfährt man nichts weiteres, was wirklich schade ist.
So bleiben nur die Charaktere über, um den Leser an den Band zu fesseln. Und selbst dies gelingt nicht besonders zufriedenstellend.
Am besten kommt dabei noch Marie weg. Sie ist eine getriebene junge Frau, die sich als Söldnerin durchs Leben schlägt und dabei immer wieder versucht, ihre Familie wiederzufinden. Dabei wird sie als äußerst willensstark und widerborstig dargestellt. Ebenso vermag sie es gut mit dem Schwert umzugehen, was wohl ihrer Vergangenheit geschuldet ist.
Ihr Gegenpart, wenn man so will, ist der Ritter Jean. Auch er ist auf der Jagd nach den Drachen und findet in Marie einen Gegner, mit dem ihn anscheinend mehr verbindet, als er es ahnt. Ebenso scheint es gewisse Mächte zu geben, die sein Leben beenden wollen.
Der dritte im Bunde ist William, der Waffengefährte Maries. Und von allen dreien bleibt er der blasseste, weil die Autoren es einfach versäumen, ihm eine Motivation zu verpassen. Er hilft seiner Freundin immer wieder aus der Patsche und geht dabei nicht gerade zimperlich vor. Doch die ganze Zeit ist unklar, wieso er ihr hilft. Es wird darüber kein Wort verloren und noch nicht einmal Andeutungen gibt es, die dem Leser die nötige Klarheit geben können.
Und so bleibt nach dem Lesen ein enttäuschender Eindruck zurück. Das Haupt-Manko ist sicherlich, das “Maries Drachen” sich zu sehr im Aufbau von Mysterien ergeht, ohne jedoch dabei zu bedenken, dass auch Antworten auf die zahllosen Fragen sicherlich nicht schlecht wären.
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