Filme leben von der Fallhöhe, die der Protagonist zwischen seiner Gegenwart und den dann eintretenden Ereignissen erleiden muss, um damit dessen zukünftiges Handeln für den Betrachter nachvollziehbar werden zu lassen - im Idealfall würde man genauso handeln. Mehr Fallhöhe, als “22 Bullets” hier zu Beginn auftischt, ist kaum vorstellbar, denn von der Nahaufnahme einer alten Frau, deren Gesicht zärtlich von einem Kind berührt wird, über das gemeinsame Singen zu Puccinis “Tosca” von Vater und dem 8jährigen Sohn im Familienkombi, bis zu dem schwer bewaffneten Killerkommando, dass den Vater mit 22 Kugeln in der Tiefgarage durchsiebt, liegen emotionale Universen.
Es sind die Details, die dieses nur vordergründig überraschende Ereignis in die gewünschte Richtung manipulieren. Während Vater und Sohn schräg, aber fröhlich im unscheinbaren Auto singen, und den Eindruck ganz normaler Menschen erwecken, werden die Gegner, die ganz offensichtlich hinter dem Anschlag stecken, als besonders sadistische und selbstverliebte Zeitgenossen entworfen. Vor allem Tony Zacchia (Kad Merad), der wenig später, Freundlichkeit heuchelnd, im Krankenhaus bei dem den Anschlag überlebenden Opfer auftaucht, zeichnet sich durch Menschenverachtung gepaart mit krankhafter Penibilität aus, der zudem in einem luxuriösen Umfeld lebt, bewacht von einer Armee an Leibwächtern. Aber auch die Szene, in der ein anderer Gangsterboss ein Bandenmitglied nur deshalb erschießt, weil es gegen seine Anweisung in seinem Club geraucht hatte, bevor er sich wieder freundlich seinem Telefonat widmet, will vor allem eins bezeugen - hier wird mit ganz harten Bandagen gekämpft.
Doch warum gibt sich “22 Bullets” so viel Mühe, eine solche Konstellation aus Gegensätzen zu entwickeln, als wenn der Mordversuch an sich nicht schon schwerwiegend genug wäre? - Bei dem so betroffenen Familienvater handelt es sich um Charly Matteï (Jean Reno), einem ehemaligen Marseiller Paten, der seine kriminellen Aktivitäten vor ein paar Jahren aufgegeben und die Geschäfte an die ehemaligen Partner übergeben hatte, um sich - allerdings finanziell abgesichert - hauptsächlich seiner Familie zu widmen. In optisch gealterten Bildern schildert “22 Bullets” ihre gemeinsamen Anfänge und zeigt Charly im Gefängnis mit einem alten Mafiosi, der ihm erzählt, welche Werte im Leben wirklich wichtig sind, bevor dieser nach seiner Entlassung von den ehemaligen Partnern ermordet wird.
Auch Charly beging damals Morde - wie der Film nicht ausspart - aber Autor und Regisseur Richard Berry begründet mit dieser Sequenz, warum dessen kriminelle Laufbahn inzwischen zu seiner Vergangenheit gehört und das man den früheren Kameraden nicht trauen darf. Und vor allem warum Jean Reno jetzt das machen darf, worauf alle warten - mit rücksichtsloser Härte zurück zu schlagen. Zuerst noch verbal, aber nachdem “22 Bullets” genüsslich gezeigt hat, wie die sadistischen Gangster mit Charlys Freund Karim (Moussa Maaskri) umgegangen sind, bevor sie dessen Körper an die Hunde verfütterten, ist damit Schluss. Er greift wieder zu schweren Waffen und lässt sich auch von der hartnäckigen Polizistin Marie Goldman (Marina Foïs) nicht aufhalten, die selbst noch eine alte Rechnung mit den Gangstern offen hat.
Wem die professionelle Optik, diverse Härten und die einfache gestrickte Ausgangssituation genügt, wird bei diesem Film gut unterhalten werden, da auch Jean Reno den alten Profi hier in gewohnter Coolness auf die Leinwand bringt. “22 Bullets” will aber auch authentisch sein und betont den realen Hintergrund dieser Gangster-Aussteigergeschichte noch. Doch dann hätte der Film mehr Mut bei seinen Charakterisierungen zeigen müssen und nicht die übliche Mär vom eigentlich anständigen, ehemaligen Gangster erzählen sollen, der nur Böse umgebracht hat, nie Kindern, Frauen und Polizisten ein Haar gekrümmt hat und niemals was mit Drogen zu tun haben wollte, während die anderen Kriminellen alle ganz furchtbar sadistische Vergewaltiger und Killer sind.
Doch so funktioniert Realität nicht, was für eine solch plakative Geschichte normalerweise auch kein Problem wäre, aber “22 Bullets” macht hier auf ernsthaft, greift zu schwerer Opernmusik und betont die Werte der Familie, anstatt dem sonst vorhersehbaren Geschehen mit etwas Ironie zu begegnen. Die Fallhöhe zu Beginn erweist sich nur als Mittel zum Zweck, um einer typischen Revenge-Geschichte im Gangster-Milieu das Deckmäntelchen eines realen Dramas zu verleihen.
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Am 16. Dezember 2010 um 14:18 Uhr
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Gute Review - wenn auch meine subjektive Bewertung wesentlich besser ausfällt.
Wer französische Kriminalfilme schätzt kommt hier definitiv auf seine Kosten!
Inhaltlich schwächelt “L’immortal” tatsächlich und man hätte hier anstatt vieles nur kurz anzureißen und den Zuschauer mit Rückblick “Stakkatos” zu irritieren, Vergangenem mehr Gewicht zubilligen dürfen um einfach mehr Authentizität zu erzeugen..
Reno - als geläuterte ehemalige Größe im Geschäft - bleibt fast schon zu sympathisch in seinem von selbst auferlegtem Codex getriebenen sehr geradlinigem Handeln, selbst als eiskalter Rächer. Etwas kantiger hätte der Möchtegern Rentner Mattei dann doch rüber kommen können.
Kad Merad als Gegenspieler Zacchia gleicht dies’ mit einer ungemeinen, verhalten linkischen Präsenz und darstellerischen Kraft aus und generiert in seiner vordergründig ambivalent gehaltenen Rolle eine Mischung aus bäriger Eleganz und Bedrohung was dem Erhalt des Spannungsbogens unabdingbar scheint.
Punkto Härte wird groß geschrieben. Sei es in Form von Folter, Einschüchterung und letztlich expliziter Gewaltdarstellung und selbst der kleine Sohn des Ex Paten wird direkt eingebunden was schon ein wenig drastisch ausfällt meiner Meinung nach. Aber so sind sie die französischen Genre Filme!
Vom Stil her ansprechend aber zu bemüht; leider kein bisschen innovativ aber solide. Hervorragend aufgelegte Mimen, coole Action, mäßige aber stete Spannung und hoher Blutzoll machen diesen Rache Thriller aus!
Wer den alten Haudegen Jean Reno mag (so wie ich) wird diesen “22 BULLETS” ebenfalls mögen …
So sei meine Bewertung bei 8 / 10 Punkten angesiedelt.